Kleiner Geist oder großer Bruder? Snapchat auf dem Prüfstand

Kleiner Geist oder großer Bruder? Snapchat auf dem Prüfstand
11
Aug

Der dritte Teil unserer Social-Media-Reihe wird gespenstisch, denn wir befassen uns mit Snapchat, dessen Logo ein kleiner weißer Geist ziert. Derzeit gehört Snapchat zu den beliebtesten Apps der 12- bis 19-jährigen, knapp hinter WhatsApp und noch vor Instagram (JIM Studie 2017) und verfügt über 187 Millionen aktive Nutzer weltweit. Bekannt wurde die Plattform vor allem durch das eigene Snap-Format: selbst aufgenommene Bilder und Videos, die sich mit Filtern versehen lassen und die der Empfänger nur wenige Sekunden lang sehen kann, bevor sie wieder gelöscht werden.

Konsequent mobil

Im Vergleich zu klassischen sozialen Netzwerken setzte Snapchat von vornherein auf die mobile Nutzung. Die Möglichkeit einer stationären Verwendung via Website, wie sie selbst der Instant-Messenger-Dienst WhatsApp anbietet, ist bei Snapchat nicht gegeben. Im Mittelpunkt der App steht die Aufnahme von Bildern und Kurzvideos, die sich mit App-internen Filtern und Effekten bearbeiten und an andere User senden lassen. Dabei können die User selbst entscheiden, wie lange die Empfänger das jeweilige Bild sehen können. Zusätzlich lassen sich mit dem „Stories“-Feature Bilder- und Clip-Geschichten mit einer begrenzten Abrufdauer von 24 Stunden erzählen.

„Camera Company“

Konsequenterweise will Imran Khan, CSO des Startups, sein Unternehmen nicht als Social-Media-Plattform verstanden wissen. Vielmehr handele es sich dabei um eine „Camera Company“. Der Unterschied zeigt sich schon beim Öffnen der App: Wo bei Facebook, Instagram und Co. die „Pinnwand“ über neueste Posts, Nachrichten und Kommentare informiert, befindet sich der Nutzer bei Snapchat direkt im Kameramodus. Das Programm erzeugt damit ein Live-Gefühl, das mehr mit dem Fernsehen als den sozialen Medien gemein hat und inzwischen auch von Instagrams IGTV übernommen wurde.

Spontane Momentaufnahmen

Diese Ausrichtung hatten die Gründer Evan Spiegel, Reggie Brown und Bobby Murphy von Anfang an auf dem Plan. Im Gegensatz zu Facebook & Co. sollte Snapchat spontaner sein und stärker im Moment verhaftet. Spiegel selbst drückte es in einem Blogpost im Mai 2012 so aus: „Snapchat isn’t about capturing the traditional Kodak moment. It’s about communicating with the full range of human emotion — not just what appears to be pretty or perfect.“ (Wikipedia) Die Plattform hat einen klar visuellen Fokus, klassische Textposts, wie es sie etwa auf Facebook, aber auch auf Instagram, gibt, findet man dort nicht.

Das Märchen von den gelöschten Snaps

Zwar wirbt Snapchat damit, dass sich die Snaps nach wenigen Sekunden wieder „zerstören“, komplett gelöscht werden sie hingegen nicht. Sie befinden sich auch weiterhin auf dem Endgerät des jeweiligen Empfängers. Die App versieht sie nur mit einer anderen Dateiendung, sodass sie von den Bildergalerie-Anwendungen nicht mehr ausgelesen und angezeigt werden können. Gleichwohl findet man im Netz inzwischen schon Anleitungen, wie sich die Snaps wieder sichtbar machen lassen. Auch in den App Stores von Google und Apple werden inzwischen eigene Apps zur Sichtbarmachung gespeicherter Snaps angeboten. Zudem können Empfänger Screenshots anfertigen, sodass sie die Snaps dauerhaft als Bilddatei speichern können.

Sexting und Cybermobbing

Gerade letzteres ist vor allem in den Anfangszeiten der Plattform zahlreichen Teenagern zum Verhängnis geworden. Denn Snapchat avancierte schnell zu einem beliebten Tool für das sogenannte „Sexting“, also dem Austausch erotischen Bildmaterials untereinander. Kaum verwunderlich, soll doch Mitgründer Reggie Brown im Jahr 2011 einem Kommilitonen anvertraut haben, dass er wolle, dass private Bilder, die er einem Date geschickt habe, verschwänden. Im Unwissen, dass sich die Screenshot-Funktion auch bei Snaps verwenden lässt, tauschten viele Teenager intime Bilder, die dann häufig ihren Weg ins Netz fanden bzw. zu Cybermobbing-Zwecken genutzt werden. Daher gilt der Grundsatz: Nur, weil die Bilder und Clips nicht mehr zu sehen sind, sind sie noch lange nicht verschwunden.

Standort verbergen

Seit dem letzten Jahr fungiert die Snapchat App des Weiteren über die „Snap Map“-Funktion. Mit dieser lässt sich der eigene Standort mit einzelnen Freunden oder dem gesamten Freundeskreis teilen, sowie der jeweilige Aufenthaltsort anderer Kontakte anzeigen. Die Freigabe eigener Geodaten ist immer mit Risiken verbunden, lässt sich aber auch deaktivieren. Hierzu können Nutzende in den Einstellungen den „Geistermodus“ aktivieren. Somit bleibt ihr Standort nur für sie selbst sichtbar.

Umfangreiche Privatsphäre Einstellungen

Darüber hinaus können Nutzer auch dafür sorgen, dass sie nur von Freunden kontaktiert werden und sich somit gegen Spam-Nachrichten und unseriöse Dritte schützen. Dies lässt sich in den Einstellungen festlegen. Auch die Auffindbarkeit des eigenen Profils über die Handynummer kann unterbunden werden. Hierzu einfach die Option „Anderen erlauben, mich über meine Handynummer zu finden“ abstellen. Ähnliches gilt für die Snapchat Stories, bei denen definiert werden kann, wer sie sich ansehen darf.

Filter und Werbung

Lustige und spannende Filter gehörten von Anfang an zu einem Alleinstellungsmerkmal von Snapchat. Anders als bei den klassischen Instagram-Filtern, die mit Weichzeichnern und Farbeffekten arbeiten, geht es bei Snapchat humorvoller und verrückter zu. Schön und gut, möchte man denken. Die Filter werden aber auch als Werbeformat vermarktet. Bedeutet im Klartext: Zwischen den App-internen Filtern, finden sich immer wieder besondere Versionen, die beispielsweise für die Vermarktung eines neuen Films oder einer Band verwendet werden. Werden diese Filter genutzt und die Snaps mit Standorten markiert, sind sie automatisch öffentlich sichtbar. Um dies zu verhindern, müssen die Filter in den App-Einstellungen ausgeschaltet werden.

Personalisierte Anzeigen

Snapchat ist – wie auch Facebook und Instagram – bislang kostenlos. Das soziale Netzwerk finanziert sich in erster Linie über Werbeeinahmen. Dies sollte Nutzenden bewusst sein. Dennoch haben sie im Vergleich zu Instagram und Facebook einen größeren Spielraum, dies zu beeinflussen. So ermöglicht es Snapchat, personalisierte Werbung auszuschalten. Dies gilt hingegen nicht für die Standortdaten; sie werden weiterhin für die Ausspielung der Werbung verwendet. Immerhin lässt sich die sonstige Weitergabe von Daten an Dritte ebenfalls abschalten. Dorthin gelangt man via dem Untermenü „Präferenzen verwalten“.

Fazit

Snapchat ist irgendwo zwischen Social-Media-Plattform und Instant Messenger angesiedelt. Snaps und Stories sind eher als Momentaufnahmen gedacht denn als Einladungen zu längeren Diskussionen. Der Eindruck der Vergänglichkeit trügt indes: Auch Snapchat speichert Bilder, die längerfristig abrufbar sind. Zwar bietet das soziale Netzwerk seinen Nutzern etwas mehr Möglichkeiten hinsichtlich der Privatsphäre Einstellungen, speichert aber dennoch alle Daten auf US-Servern. Spannend wird sein, inwieweit sich Snapchat dauerhaft halten wird. Die beliebte Story-Funktion wurde bereits von Instagram und Facebook abgekupfert, die Nutzerzahlen stagnieren. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob der Geist verblasst oder an Kontur gewinnt.

Tobias Börner