Mobiles Lernen fördert Kreativität
Ein Blick in die 2012 gegründete Privatschule Villa Wewersbusch zeigt, wie der
Lernraum im digitalen Zeitalter gestaltet werden kann.
Wenn man Personen danach fragt, wie sie sich einen Klassenraum vorstellen, zeichnen die meisten Tischreihen, frontal auf Pult und Tafel ausgerichtet. Auch die U- oder Hufeisenform ist beliebt. Gemeinsam haben die Zeichnungen, dass es stets feste Muster sind, frontale Ausrichtung überwiegt im Vergleich zu Gruppentischen. Keine dieser klassischen Lernumgebungen ist veränderlich oder flexibel.
Die Villa Wewersbusch in Velbert (Nordrhein-Westfalen) hat hingegen die Idee vom „Raum als drittem Pädagogen“ ernst genommen und sich gefragt, wie Räumlichkeiten im 21. Jahrhundert gestaltet sein müssen, damit zentrale Kompetenzen der digitalen Welt – wie Kreativität, Kommunikation oder Teamwork – optimal gefördert werden können.
Rahmenbedingungen für flexible Lernumgebungen
Damit Letzteres langfristig gelingen kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Auch wenn jeder seine eigene Vorstellung von einer idealen Lernumgebung hat, so gibt es einige Kernfaktoren, die Konzentration und kreatives Arbeiten fördern:
– Störungsfreie Bereiche: Für das konzentrierte Arbeiten sollten ausreichend ruhige Zonen vorhanden sein, in die sich Schüler*innen ungestört und frei von Ablenkung zurückziehen können. Diese Bereiche können sowohl Teil des Klassenzimmers sein als auch in anderen Räumen, ruhigen Nischen oder stilleren Bereichen des Schulgeländes geschaffen werden.
– Entspannungsräume: Zwischen intensiven Lernphasen sollten Schüler*innen kurze Entspannungspausen einlegen können, um das Gelernte zu verfestigen und etwas Abstand zu gewinnen. Hierfür eignen sich bequeme Sitzgelegenheiten, wie etwa Sofas und Sitzkissen, die sich in der Gestaltung bewusst von der Lernumgebung abheben.
– Bessere Raumakustik: Eine hohe Lärmbelastung hindert Kinder und Jugendliche an der Konzentration und wirkt sich negativ auf ihre Gedächtnisleistung aus. Eine adäquate Raumakustik ist daher notwendig. Schallschutzflächen (z. B. Schaumstoff-Wandbilder) verbessern in bestehenden Räumen die Akustik und senken den Lärmpegel.
Einschränkungen im schulischen Alltag
Ein weiterer Aspekt macht die Lernumgebung Schule einzigartig: Anders als im heimischen Kinderzimmer muss die Schule das nötige Inventar für die unterschiedlichen Fächer bereitstellen. Fachräume für Naturwissenschaften müssen beispielsweise schon aufgrund von sicherheitstechnischen Vorgaben anders gestaltet sein als jene für Fremdsprachen, sie lassen sich daher nur in sehr begrenztem Rahmen räumlich verändern. Dennoch können Schulen versuchen, im Rahmen des Möglichen flexiblere Arrangements zu schaffen.
In der Praxis – Die Villa Wewersbusch
Wie eine flexible Gestaltung von Lernumgebungen aussehen kann, zeigt das Beispiel der Ganztagsschule Villa Wewersbusch: Bei der Einrichtung der unterschiedlichen Räume wurde speziell auf den Mehrwert von Stühlen und Tischen geachtet. Sie verfügen nicht nur über eine individuelle Höhenverstellbarkeit für größtmöglichen Komfort, sondern sie sind auch mit Rollen ausgestattet. So lassen sich schnell und einfach neue Tischkombinationen kreieren, Einzeltische für ruhige Lernphasen aufstellen oder es kann Platz für eine Podiumsdiskussion geschaffen werden. Spezielle Akustikdecken und -wandbilder mindern zudem den Schallpegel in den Klassen erheblich und lassen ein ruhiges Lernen zu. Bei der Beleuchtung wurde auf tageslichtähnliche Lichttemperaturen geachtet. Neben diesen Rahmenbedingungen spielen auch die bereitgestellten Mittel eine entscheidende Rolle. Lernumgebungen sollen der Kreativität einen geeigneten Entfaltungsraum bieten. Daher sind Flipcharts, Magnettafeln, Post-its, Whiteboards und Green-Screen-Wände für alle Schüler*innen stets zugänglich; so können sie ihre Ideen umsetzen und kollaborativ arbeiten.
Ausweiten der klassischen Lernräume
Das Konzept des klassischen Klassenzimmers kann auch ganz aufgebrochen werden, wenn es dem Lernziel dient. Dank digitaler Technik ist die Beschränkung auf den Klassenraum nicht mehr unbedingt notwendig. So kann der Unterricht auch außerhalb des Schulgebäudes stattfinden. Schüler*innen können sich frei auf dem Schulgelände bewegen und ihre eigenen Lernumgebungen suchen und schaffen. Eine ruhige Bibliothek oder eine Bank im Grünen — dank digitaler Endgeräte werden so auch ungewöhnliche Orte zu Lernräumen.
Auch Fachräume können auf diese Weise anpassungsfähiger werden. Ein Tonstudio dient als Aufnahmeort von Hörspielen für den Deutschunterricht oder als Proberaum im Fach Musik. Die aufgenommenen Tracks und Stimmen werden dann an einem anderen Ort geschnitten, aufbereitet und später veröffentlicht. Während im Fachbereich Biologie der Unterricht über heimische Pflanzen zum Lokaltermin im Naturschutzgebiet wird, können in Physik und Chemie Experimente in Kleingruppen durchgeführt werden.
Flexibilität – Ein lohnendes Konzept
Die Schaffung flexibler Lernumgebungen mag auf den ersten Blick mühsam erscheinen. Räume neu gestalten, Möbelkonzepte überdenken oder gar Raumbelegungspläne verändern – das alles erfordert Arbeit und kann nicht ohne Kompromisse und den Abschied von alten Gewohnheiten vonstattengehen. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich diese Mühe lohnt. Neben einem entspannterem Unterrichtsklima steigt auch die Lernbereitschaft der Schüler*innen. Ebenso ist ein Leistungsanstieg in allen beteiligten Fächern zu konstatieren. Nicht nur die Lernenden profitieren daher von diesem Konzept, auch das Kollegium und die Schule selbst tragen die Früchte von flexiblen Lernumgebungen.
Sebastian Funk ist Lehrer für Mathematik und Physik an der Villa Wewersbusch, Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor.