Nach und nach werden die Schulen wieder geöffnet. Zwar soll es vor den Sommerferien keine Rückkehr zum Regelbetrieb geben. Ab Montag, den 04. Mai, werden jedoch schrittweise Öffnungen stattfinden.
Die Strategien diesbezüglich unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. In einigen Bundesländern dürfen Schüler*innen in Abschlussklassen seit dem 27.04. wieder in den Schulen unterrichtet werden. Eine Maskenpflicht gibt es derzeit nicht, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes wird aber empfohlen.
Noch vor zwei Monaten schien der Alltag weitestgehend normal. Geschäfte und Restaurants waren geöffnet, die Schulen voll und die Osterferien heiß herbeigesehnt. Zwar war das Coronavirus auch zu dieser Zeit schon eines der wichtigsten Nachrichtenthemen. Dennoch erschien es vielen noch als diffus, da es kaum direkte Auswirkungen auf den Alltag hatte. Diese Zeiten scheinen inzwischen weit entfernt. Die gesellschaftliche Normalität ist eine andere geworden und auch das Zeitgefühl an sich hat sich für viele nachhaltig verändert.
Anfangsschwierigkeiten und fehlende Einheitlichkeit
Nachdem die Schulen geschlossen wurden, musste innerhalb von kürzester Zeit der digitale Unterricht geplant, strukturiert und umgesetzt werden. Begriffe wie „distant learning“, „home schooling“ und „digital school“ geisterten durch die Medien. Einheitliche Lösungen gab und gibt es nicht. Von Bundesland zu Bundesland, von Schule zu Schule, von Lehrkraft zu Lehrkraft unterscheiden sich die Herangehensweisen mitunter drastisch. Spricht man mit befreundeten Eltern, hört man unter anderem von klassischen Arbeitsblättern, die als PDF-Dateien verschickt werden, von Lehrer*innen eigenständig produzierten Video-Podcasts, Unterrichtsstunden via Skype oder Zoom und Lernlisten, die Schüler*innen abarbeiten sollen.
Dabei offenbaren sich schnell diverse Probleme. So lassen sich gescannte Arbeitsblätter etwa aufgrund ihres Formats schlecht digital bearbeiten; Podcasts sind aufwendig in der Produktion und erfordern Grundkenntnisse in Audio-Software und der Unterricht via Videochat stößt mitunter an die Grenzen des Datenschutzes. Unlängst fand sich beispielsweise ein Freund im Mathematikunterricht einer zweiten Grundschulklasse wieder. Die Lehrerin hatte bei Skype nach den Namen der Eltern ihrer Schüler*innen gesucht und deren Profile, ohne diese zu verifizieren, zu einer Unterrichtsgruppe hinzugefügt. Im ersten Moment mag das zwar humorvoll klingen, aus Datenschutzperspektive ist es allerdings ein kleiner Super-GAU.
Stark variierende Voraussetzungen bei den Schüler*innen
Nun lassen sich all diese Probleme relativ leicht lösen und als Anfangshindernisse verbuchen. Viel gravierender sind aber andere Schwierigkeiten, die zutage treten. Von der uneinheitlichen Geräteausstattung über unterschiedliche Betreuungssituationen hin zu fehlenden Lernräumen auf Schüler*innenseite, stehen Lehrende oft vor der Frage, wie sie mit dieser Heterogenität umgehen sollen. Dabei handelt es sich hier ein Stück weit um Themen bzw. Komplexe, die schon länger im Digitale-Bildungs-Diskurs verhandelt werden. Nur werden sie in der aktuellen Situation sichtbarer als zuvor.
Doch wie gehen Lehrer*innen mit den veränderten Bedingungen um? Hat sich in den letzten zwei Monaten schon eine Art neuer Schulalltag entwickelt? Und welche Chancen sehen Expert*innen für digitale Bildung in der schlagartigen Umstellung auf digitalen Unterricht. Diese Fragen haben wir einigen unserer #excitingedu Referent*innen gestellt. Den Anfang machen Verena Knoblauch und Alicia Bankhofer.
Das soziale Element von Schule nicht aus dem Blick verlieren
Verena Knoblauch ist Medienpädagogin und unterrichtet an einer bayerischen Grundschule. Sie rät sowohl davon ab, den normalen Unterricht samt Stundenplan 1:1 ins Online bzw. Home Schooling zu übertragen als auch die Schüler*innen wochenlang Arbeitsblätter ausfüllen zu lassen. Viel wichtiger ist es ihrer Meinung nach, das soziale Element von Schule nicht aus dem Blick zu verlieren. Digitale Medien böten hierzu vielfältige Möglichkeiten, so Knoblauch.
Allerdings müssten diese genau durchdacht werden. Ein Beispiel hierfür seien Videokonferenzen. Zwar hält Knoblauch diese für ein probates Mittel, gibt aber auch zu bedenken, dass ein fester Termin für die ganze Klasse nicht sinnvoll sei. Da die Betreuungssituationen und die Hardware-Ausstattung von Schüler*in zu Schüler*in stark variieren, könne nicht davon ausgegangen, dass alle Kinder gleichzeitig über die notwendigen Mittel und Betreuung verfügten. Daher führt Knoblauch Videokonferenzen in Kleingruppen durch.
Wichtig ist ihr hierbei, nicht einfach den klassischen Schulunterricht durchzuführen. Vielmehr konzentriert sie sich auf den Kontakt mit Schüler*innen und Eltern und nutzt die Videokonferenzen für Erzählkreise, Vorlesen, gemeinsames Basteln und Sprechstunden. Besonderen Augenmerk legt Knoblauch auf die Kommunikation mit Eltern und Erziehungsberechtigten. Hört sie längere Zeit nichts von diesen, meldet sie sich telefonisch. Als Lehrer*in kenne man seine Schützlinge und deren individuelle Situation am besten, so Knoblauch. Die pure Verlagerung des Unterrichts ins Elternhaus und die dafür notwendige Betreuung könnten nicht vorausgesetzt werden.
Die Krise führt zu einem positiven Umdenken
„Jemand hat das Wort „Quantensprung“ verwendet und es stimmt. In vielen Schulen haben Lehrpersonen und deren Schüler große Fortschritte gemacht und haben binnen kurze Zeit Dinge zum ersten Mal ausprobiert und durchgeführt“, sagt Alicia Bankhofer, Englisch- und IKT-Lehrerin sowie E-Learning-Koordinatorin. Ferner berichtet sie von Online-Stunden mit Lernspielen und Klassen bzw. Lernstunden, die digital durchgeführt werden. Es bleibe abzuwarten, wie viel davon am Ende übrigbleibe.
Dennoch sieht Bankhofer Zeichen für eine positive Entwicklung. Die Krise und das Bewusstsein, dass sie sich wiederholen kann, hätten zu einem Umdenken hinsichtlich der digitalen Bildung geführt. Tools und Praktiken würden geprüft, wo dies noch nicht stattfinde, müsse dringen technisch aufgerüstet werden, so Bankhofer. Auch sollten Schulen einheitliche Arbeitsweisen ermöglichen.
Innovationsdruck und Optimierungsbedarf
Man könnte also von einer Art Innovationsdruck sprechen, der entstanden ist. COVID-19 zwingt nun auch diejenigen dazu, sich mit digitaler Bildung zu beschäftigen, die das Thema im Regelbetrieb gemieden haben. Die aktuelle Situation zeigt aber auch, an welchen Stellen es noch erheblichen Optimierungsbedarf gibt. Momentan muten viele Maßnahmen noch wie eine Operation am offenen Herzen an. Ergebnis ungewiss. Gleichzeitig beflügeln die aktuellen Beschränkungen die Kreativität auf Seiten vieler Lehrender. Neue Formen der Kollaboration werden ausprobiert, der klassische Frontalunterricht tritt in den Hintergrund und die Rolle der Lehrenden verändert sich hin zu Lehrbegleiter*innen.
Weitere Einblicke und Einschätzungen unserer #excitingedu-Referent*innen gibt es im zweiten Teil unserer Artikelserie.
Tobias Börner