Digitale Bildung an einer „Kreidezeit-Schule“

Digitale Bildung an einer „Kreidezeit-Schule“
5
Jul

Unterricht unter erschwerten Bedingungen

Was kann man tun, um auch an einer „Kreidezeit“-Schule Schritte zu nachhaltigem und digitalem Lernen zu implementieren? Christine Skupsch skizziert ihr konkretes und umsetzbares Konzept.

Bei meinem ersten Besuch an meiner neuen Schule stand ich im Flur und holte mein Smartphone heraus, um festzustellen, ob es WLAN gibt. Es war jedoch kein Netzwerk zu finden. Stattdessen kam eine Lehrerin auf mich zu und teilte mir sehr deutlich mit, dass Handys an der Schule verboten seien. Mein neuer Informatikkollege zeigte mir die Computerräume: 16 uralte PCs  – mindestens drei funktionierten nicht  – mit Windows XP als Betriebssystem. Zugang zum Internet war manchmal möglich, die Download-Geschwindigkeit lag bei 2  Mbit/s, der altersschwache Server stürzte fast täglich ab.

Scheitern an den technischen Gegebenheiten

Monatelang versuchte ich, im Unterricht neben den fachlichen Inhalten auch digitales Grundwissen zu vermitteln. Regelmäßig scheiterte ich dabei an den technischen Gegebenheiten. Allein das Hochfahren eines PCs dauerte zwischen fünf und 20 Minuten, eine Präsentationsdatei benötigte mitunter 30 Minuten zum Öffnen, fast jedes Mal musste ein Plan B oder C zum Einsatz kommen. Der Unterricht unter diesen Umständen frustrierte mich, war kräftezehrend, verschaffte mir schlaflose Nächte und gab mir das Gefühl des Versagens. Ich musste etwas ändern.

7 Schritte zum nachhaltigen Lernen

Ich brauchte ein einfaches Konzept, das unabhängig vom Fach funktionierte und sich leicht auch ohne funktionierendes WLAN in die Praxis umsetzen ließ. Hierzu tauschte ich mich auf BarCamps, EduCamps sowie unterschiedlichen Kongressen mit anderen Lehrer*innen aus. Oft drehten sich diese Diskussionen um das Thema: „Wenn man ein Smartphone hat Internet nutzt, dann kann man doch alles lernen?!“. Ja, vorausgesetzt, man weiß wie.

Ich ließ mich durch die Diskussionen auf Twitter und bei Kongressen inspirieren, um eine Umsetzung für meinen Unterricht zu finden. Aus den gewonnenen Informationen und Anregungen entwickelte ich das Konzept der „7 Schritte zum nachhaltigen Lernen“.

Im ersten Schritt wählen die Schüler*innen innerhalb des vom Lehrplan vorgegebenen Themenrahmens eigene Schwerpunkte (1). Angesichts der Fülle an Informationen (2) ist es wichtig, dass sie Quellen einschätzen (3) und die gewonnenen Informationen entsprechend verarbeiten können (4). Durch den Prozess, ein für andere verständliches Produkt zu erstellen, findet eine intensive Auseinandersetzung mit dem gewählten Thema statt (5). Informationen werden zu Wissen umgewandelt. Die Veröffentlichung (6) führt außerdem dazu, dass die Schüler*innen Feedback bekommen, stolz auf ihre Arbeit sind und diese reflektieren (7).

Nachhaltiges LernenDie folgenden Beispiele zeigen, wie ich das Konzept in unterschiedlichen Klassenstufen umgesetzt habe.

Bring Your Own Device (BYOD)

Technik: WLAN via eigenem Router, Beamer, Lautsprecher

Zu Unterrichtszwecken ist die Nutzung der Smartphones (BOYD) gestattet. Gemeinsam mit den Schüler*innen legte ich im Vorfeld Regeln zum adäquaten Einsatz fest.

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Thema führte dazu, dass Schüler*innen verschiedene Meinungen und Perspektiven entwickelten. Um diese für alle Beteiligten sichtbar und nachvollziehbar zu machen, verwendete ich ein Etherpad. Dieses ermöglichte allen Beteiligten nur durch Kenntnis des Links den Zugriff auf einen Editor, in dem sie ihre Gedanken niederschreiben und die der anderen lesen konnten. Über den Beamer wurde das Geschriebene für alle sichtbar und diente als Grundlage für Diskussionen.

Flipped Classroom

Technik: Keine

Die meisten Schüler*innen haben zu Hause Zugang zum Internet und zu einem Laptop oder PC. Das Flipped-Classroom-Prinzip verlagert die klassischen Arbeitsphasen aus dem Unterricht in außerschulische Zeiträume. So besteht im Unterricht selbst mehr Raum für interaktive Zusammenarbeit mit den Lernenden.

Konkret bedeutete dies, dass ich im Unterricht eine Hausaufgabe vergab, die ich zusätzlich per Mail an alle verschickte. Die Schüler*innen einer 8.  Klasse suchten dann zu einem aktuellen Ereignis aus Politik/Wirtschaft einen Artikel bzw. Videos und schickten mir die gewonnenen Informationen per Mail bis zum Vorabend der kommenden Woche. Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, dass ich schnell sah, wer sich wie mit dem Thema beschäftigt hatte. Auf dieser Basis konnte ich gezielt den Unterricht vorbereiten und gestalten. Diejenigen, die keine Mail schreiben wollten, konnten die Hausaufgabe auf Papier anfertigen.

Blogging

Technik: WLAN via eigenem Router, Beamer, Lautsprecher

Der Einsatz des Routers in Verbindung mit Laptop und Beamer hatte den positiven Effekt, dass ich im Politik- und Wirtschaftsunterricht bei aktuellen Themen Nachrichten per Video oder Blogbeitrag zeigen konnte. Die Schüler*innen recherchierten per BYOD und WLAN und hielten die Ergebnisse in geschützten Ordnern und Dateien in der Cloud fest. Dort wurden zudem vom Hauptthema ausgehend weitere Stichworte und Fragen gesammelt.

Anschließend wählten sie ihren Schwerpunkt aus und bearbeiteten diesen anhand des 7-Schritte-Konzepts zu zweit oder zu dritt. Auf der Website www.4k-modell.de hatte ich den Schüler*innen einen Account angelegt, sodass sie selbstständig Blogbeiträge verfassen und veröffentlichen konnten. Hierbei lernten sie, die Regeln für Urheberrecht und Datenschutz zu beachten. In der folgenden Woche präsentierten die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer ihre gewonnenen Erkenntnisse und diskutierten lebhaft darüber. Sie gaben sich gegenseitig positives Feedback und nutzten hierfür auch die Kommentarfunktion unter den Artikeln.

Feedback und Evaluation

Zum Ende des Schuljahres ließ ich die Schüler*innen, meist anonym mithilfe eines Onlinefragebogens, Feedback zu meinem Unterricht geben, um meine Methoden kontinuierlich optimieren zu können. Zudem sprach ich persönlich mit einigen Schüler*innen über den Unterricht und mein Ziel, Techniken zur Förderung des nachhaltigen Lernens zu vermitteln. Eine Schülerin sagte: „Ihre Hausaufgaben sind sehr zeitaufwendig. Mathe kann ich auch problemlos in den Freistunden erledigen. Aber zu einem Thema recherchieren, dann daraus einen Text zu verfassen, das schaffe ich nicht so nebenbei, da muss ich mich in Ruhe hinsetzen zum Schreiben.“ Ein Schüler ergänzte: „Ja, es braucht mehr Zeit, aber dafür hat man die Inhalte auch länger im Gedächtnis. Außerdem macht es mehr Spaß, sich das Thema auszusuchen.“

Fazit

Es macht mich glücklich zu sehen, wie sich die Schüler*innen entwickeln und in ihren Kompetenzen wachsen. Der Job als Lehrerin bleibt herausfordernd, die Umstände ändern sich immer. Nach zwei Jahren an dieser Schule gibt es nun immerhin neue Geräte – aber das ist eine andere Geschichte.

Christine Skupsch ist Lehrerin für Informatik und Politik & Wirtschaft an einer kooperativen Gesamtschule mit Oberstufe in Frankfurt am Main.

www.iqberatung.de