Sophie Scholl auf Instagram: Eine Einordnung

Sophie Scholl auf Instagram: Eine Einordnung
27
Mai

„Ich bin Sophie Scholl“ – ein Satz der erst einmal irritieren mag. In einigen wird er Erinnerungen an eine gewisse „Jana aus Kassel“ wecken, die sich letzten Herbst im Rahmen einer Querdenker*innen-Demo mit der NS-Widerstandskämpferin verglich und der Jan Böhmermann ein Mini-Musical widmete. Doch handelt es sich in diesem Fall nicht um einen fehlgeleiteten Vergleich, sondern um ein neues Social-Media-Format von SWR und BR.

Sophie Scholl auf Instagram

Wie hätte es wohl ausgesehen, wenn Sophie Scholl einen Instagram Account gehabt hätte? Diese Frage bildet die Ausgangsbasis für das Projekt der beiden öffentlich-rechtlichen Sender. Die Prämisse ist schnell zusammengefasst: Zum 100. Geburtstag Scholls können User*innen das letzte Dreivierteljahr in Scholls Leben auf der Plattform in Echtzeit verfolgen. Dabei werden die Ereignisse – der Name des Accounts lässt es erahnen – aus ihrer eigenen Perspektive geschildert. Ganz so, als hätte es damals schon Instagram und Smartphones gegeben.

Den Nutzungsgewohnheiten der App Rechnung tragend, filmt die fiktive Scholl ihre Umwelt. Sie dokumentiert ihre Gedanken, spricht direkt in die Kamera, adressiert ihre Follower*innen, macht sich in Posts Gedanken über ihr Tagesgeschehen und gibt Infos zum geschichtlichen Kontext. Die Spielszenen finden weitestgehend an Originalschauplätzen statt, alle Darsteller*innen tragen historische Kostüme. Sie sind im Story-Format gehalten, sodass sie nach 24 Stunden automatisch verschwinden. Für Späteinsteiger*innen gibt es wöchentliche Zusammenfassungen auf IGTV.

Konsequente Nutzung der plattformeigenen Formate

Was anfänglich irritieren mag, funktioniert nach kurzer Zeit erstaunlich gut: Man gewöhnt sich überraschend schnell daran, dass die fiktive Scholl die Social-Media-Plattform wie eine moderne Jugendliche verwendet. Dies liegt auch daran, dass das Smartphone selbst nie eingeblendet wird. Ein kluger Schachzug, denn NS-Widerstandskämpfer*innen mit Smartphones in den Händen zu sehen, würde die Vorstellungskraft der User*innen dann doch überstrapazieren.

Die Macher*innen schöpfen geschickt aus dem vollen Potenzial etablierter Social-Media-Formate. Neben den Stories gibt es beispielsweise auch Memes mit Zitaten, Selfies und kleine Erklärvideos in Form von Reels. So können Follower*innen etwa lernen, wie man Schuhe mit Hausmitteln putzt oder sich über die „4 Debattier-Typen, die jeder kennt“ amüsieren. Das scheint anzukommen. Innerhalb kürzester Zeit hat der Account mehr als 900.000 Follower*innen ansammeln können. Tendenz steigend. Ein voller Erfolg also.

Altbekanntes Konzept mit neuer Protagonistin

Doch wirklich neu ist das Konzept nicht. Sein Vorbild hat „ichbinsophiescholl“ im israelischen Projekt „eva.stories“ aus dem Jahr 2019. Darin wurde die wahre Geschichte der jungen ungarischen Jüdin Eva Neyman erzählt, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Über 70 Stories hinweg konnten Instagram-User*innen sie vom Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz begleiten. Beide Formate nutzen Instagram, um jungen Menschen den Holocaust zu vermitteln. Was sie unterscheidet? Ihre Perspektive. Sophie Scholl war eine deutsche Christin, Eva Neyman ungarische Jüdin.

Fehlende Perspektiven und irritierende Kommentare

Das ist entscheidend, denn die Frage, an wen bzw. durch wessen Perspektive erinnert wird, ist untrennbar damit verbunden, was erinnert wird. Und hier setzen einige Kritiker*innen des Projekts an. Unter ihnen der Publizist und Lyriker Max Czollek, der sich in seinem Buch „Desintegriert Euch!“ selbst kritisch mit der deutschen Erinnerungskultur auseinandersetzt. Dass gerade Scholl (und auch Stauffenberg) bei der Erinnerung an Widerstandskämpfer*innen gegen das Naziregime in den Fokus genommen werden, irritiert ihn. Denn Scholl – das lässt sich übrigens auch aus Biografien herauslesen – hatte lange Zeit kein Problem mit dem Nationalsozialismus, war Mitglied des BDM. Zwar habe Scholl „an einem gewissen Zeitpunkt sicherlich mutiger und standhafter gehandelt als die allermeisten Menschen um sie rum.“ Dass aber gerade sie in der medialen Aufarbeitung zur Widerstandsikone stilisiert wird, während etwa jüdische Widerständler*innen wie die Gruppe Herbert Baum größtenteils außer Acht gelassen werden, spricht laut Czollek Bände über den Stand der deutschen Erinnerungskultur.

Und auch einige der Posts und Kommentare des „ichbinsophiescholl“-Accounts irritieren. So etwa die lobende Reaktion der fiktiven Sophie Scholl auf einen User-Kommentar, in dem es unter anderem heißt „Die Menschheit sind (sic!) für die Erde wie Bakterien für uns. Viele sind eigentlich ganz gut, aber viele sind auch böse. Und wenn es zu viele sind, können auch die Guten schädlich sein.“ Ihr gefalle der biologische Bezug in den Worten des Kommentators, schreibt die fiktive Sophie. Nun muss man kein*e Historiker*in sein, um bei einem Bakterien-Vergleich und der Argumentation mit biologischen Bezügen im Kontext des Nationalsozialismus ein ungutes Gefühl zu bekommen.

Diskussionsgrundlage für den Umgang mit Erinnerungskultur

Die Frage, wie sich Holocaust-Erinnerung mit Hilfe digitaler Medien vermitteln lässt, ist im Zuge des Verschwindens der Zeitzeug*innengeneration von ausschlaggebender Bedeutung. Damit haben wir uns bereits an anderer Stelle auseinandergesetzt. Das Instagram-Projekt von SWR und BR kann in diesem Zuge eine Diskussionsgrundlage darstellen. Es zeigt, wie eine konsequente Umsetzung auf einer Social-Media-Plattform aussehen kann und wirft gleichzeitig Fragen nach den dargestellten und den fehlenden Perspektiven auf.

Tobias Börner