Von Free Speech zu Me-Speech: Twitter im Fokus

Von Free Speech zu Me-Speech: Twitter im Fokus
24
Nov

Wenige Themen beherrschen die Nachrichten in der letzten Zeit so sehr wie die Seifenoper rund um den Kauf der amerikanischen Social-Media-Plattform Twitter. Der Kurznachrichtendienst ist auch bei Lehrer*innen beliebt.  Seit Jahren tauschen sie sich im „Twitter-Lehrerzimmer“ aus. Zeit also, sich zu fragen, wie es weitergeht.

Elon Musks Seifenoper

Kauft er Twitter oder blufft er etwa doch? Diese Frage musste sich jede*r stellen, die Elon Musks Ankündigungen im letzten Frühjahr verfolgten. Der Tesla- und SpaceX-Chef zählt zu den aktivsten User*innen der Plattform und sah seine Meinungsfreiheit gefährdet, als das Unternehmen nach langer Kritik anfing, Beiträge stärker zu moderieren.

Dabei ging Twitter vor allem gegen Fake News und Hass vor, markierte diese als solche und sperrte Wiederholungstäter*innen wie Donald Trump. Auch Tweets von Musks wurden gelöscht oder als Fake News markiert. Dies ist wenig verwunderlich, fällt der Tesla-Chef doch regelmäßig durch sexistische, trans- und homophobe sowie rassistische Tweets auf.

Me-Speech statt Free Speech

Doch statt Twitters Warnungen als konstruktive Kritik anzunehmen, schäumte der südamerikanische Superunternehmer. Er sah durch diese Eingriffe nichts weniger als die Meinungsfreiheit gefährdet. Wobei sich das die in diesem Fall getrost durch „seine“ ersetzen lässt. Denn Elon Musk geht es vor allem um Me-Speech, nicht um Free Speech, wie er stets proklamiert.

Denn innerhalb seiner Unternehmen ist er dafür bekannt, Kritiker*innen sofort zu entlassen. Es gibt massenhaft Berichte über Angestellte, die an Stelle und Ort gefeuert wurde, wenn sie ihm eine Antwort gaben, die ihm nicht gefiel. Und auch auf Twitter macht er mit kritischen Stimmen kurzen Prozess. Selbst die sachlichsten Einwände werden mit Beleidigungen niedergemäht. So bezeichnet er Kritiker*inne gern mal als Päderast*innen.

Gehen oder bleiben?

Doch was bedeutet Musks Twitter-Übernahme nun für Lehrende und damit indirekt auch für die digitale Bildung? Zum einen stellt sich für viele jetzt die Gehen-oder-bleiben-Frage. Will ich mich wirklich noch auf einer Plattform aufhalten, deren Chef kurz nach einem queerphoben Terroranschlag in den USA homophobe Memes postet?

Immer mehr User*innen, darunter zahlreiche Unternehmen und Prominente, beantworten diese Frage mit einem klaren Nein. Sie wandern von der Plattform ab und ziehen in andere Netzwerke um. Mastodon und Instagram verzeichnen aktuell beispielsweise große Zuläufe. Doch bedeutet dieser Umzug auch einen Verlust der über lange Zeit aufgebauten Reichweiten und Kontakte.

Utopie eines konstruktiven Diskurses

Ferner war Twitter für viele lange ein Versprechen auf schnellen Austausch und gehaltvollen Diskurs. Abseits von Hassrede und Fake News hatte sich dort eine konstruktive Debattenkultur entwickelt, die gerade von Lehrenden sehr geschätzt wurde. Diese lässt sich so schnell nicht wieder aufbauen. Umso schwerer also, der Plattform Lebewohl zu sagen.

Jedoch wird es auch für die Verbleibenden schwierig. Denn Twitters Zukunft ist mehr als ungewiss. In einer seiner berühmt-berüchtigten Impulsiv-Reaktionen hat Musk einen Großteil der Mitarbeiter*innen entlassen. Nur um kurz danach festzustellen, dass sich darunter einige befanden, die für den weiteren Betrieb der Plattform wichtig sind. Ein weiterer Teil der Angestellten hat von sich aus gekündigt.

Ein Unternehmen mit Schlagseite

Ferner hat das Unternehmen noch nie Profit gemacht. Will Musk Twitter dauerhaft erhalten, muss er Einnahmequellen finden. Seine erste Idee, die blauen Authentifizierungshaken zu monetarisieren, geriet zum Fiasko. So kauften sich tausende User*innen Haken für die Profile von Stars und Politiker*innen und sendeten unter deren Namen lustige bis bizarre Tweets ab.

Dabei sind gerade die blauen Authentifizierungshaken einer der wenigen Anhaltspunkte auf der Plattform, dass es sich tatsächlich um den echten Account einer bekannteren Person handelt. Musk hat also kurzerhand das letzte bisschen Glaubwürdigkeit verkauft. Ferner haben die Massenentlassungen dazu geführt, dass es zu wenige Content-Moderator*innen gibt. Die Auswirkungen auf das Netzwerk sind fatal: Mehr Fake News, Hassrede und Verschwörungstheorien können sich ungefiltert Bahn brechen.

Wie es weitergeht vermag derzeit niemand zu sagen. Zu erratisch ist das Verhalten des Egomanen Musk. Zumal auch er unter Druck steht. Sein Impulskauf hat sehr viel mehr gekostet als die Plattform schlussendlich wert ist. Dementsprechend erwarten Investor*innen über kurz oder lang Einnahmen und höhere Aktienkurse.

Twitter als Unterrichtsthema

Das Geschehen rund um Twitter ist nicht nur für User*innen interessant. Es lässt sich auch sehr gut im Politik- und Wirtschaftsunterricht behandeln. Denn die aktuellen Geschehnisse verbinden zahlreiche Themen, die für Lernende relevant sind. Von der Frage, was Meinungsfreiheit bedeutet und wo ihre Grenzen sind, über das Geschäftsmodell von Social-Media-Plattformen bis hin zur Frage, wie nationalstaatliche Regulierung bei global operierenden Tech-Plattformen funktionieren kann (oder auch nicht).

Zudem ermöglichen Musks Volten es Schüler*innen, länger am Thema zu bleiben und auch die unterschiedliche Medienberichterstattung kritisch zu beleuchten. Denn auch hier gibt es durchaus Unterschiede in der Wahrnehmung, die einen näheren Blick lohnen.

Es bleibt spannend. Schauen wir, wohin der Vogel fliegt.