Digitale Medien im Adaptiven Unterricht – Ein didaktisch fundierter Ansatz

Digitale Medien im Adaptiven Unterricht – Ein didaktisch fundierter Ansatz
5
Okt

Kaum jemand zweifelt die Bedeutung und Wichtigkeit digitaler Medien im Unterricht an. Auch in den Schulen findet das Thema breiten Widerhall. Fragt man aber zehn verschiedene Lehrpersonen nach dem Einsatz von digitalen Medien im Unterricht, erhält man wahrscheinlich zehn verschiedene Ideen. Wie also könnte ein pädagogisch und didaktisch fundierter Ansatz aussehen?

Mangels Alternativen werden digitale Medien oft nach dem Prinzip »Trial and Error« in den Unterricht eingebunden. Zwar wird so eine kurzfristige Lösung herbeigeführt. Für einen längerfristigen und didaktisch fundierten Entwicklungsprozess von Unterricht und Schule taugt es jedoch nicht unbedingt. Ein übergeordnetes Konzept ist vonnöten, denn es hilft bei einem konkreten Ansatz wie der Verwendung von digitalen Medien ungemein. Außerdem entsteht durch einen gesetzten Rahmen ein Gefühl von Sicherheit.

Die Grundlagen

Eine Möglichkeit mit enormem Potenzial ist hierbei das adaptive Lernen, bei dem die Lernenden im Mittelpunkt stehen und Materialien und Instruktionen an deren individuelle Voraussetzungen und Lernfortschritte angepasst werden. Hört sich erstmal wahnsinnig aufwendig und nicht umsetzbar an, ist mit dem richtigen Einsatz digitaler Medien aber gar nicht so schwer. Quasi die Basis eines adaptiven Unterrichtens ist die regelmäßige formative Diagnose auf Makro- und Mikroebene: Wo stehen die einzelnen Schüler:innen in Bezug auf ihre Lernangelegenheiten? Wo benötigt wer welche Unterstützung?

Und jetzt mal konkret?

Nehmen wir als Beispiel das Fach Spanisch, konkret, einen Klassiker in der Vermittlung der spanischen Sprache, nämlich die korrekte Verwendung der Konstruktion »me gusta«, die adaptiv gestaltet werden kann. Als Themeneinstieg hören sich die Schüler:innen das Lied »Me gustas tú« von Manu Chao an. Mit diesem Einstieg kann direkt an die Lebenswelt der Schüler:innen angeknüpft und gleichermaßen ihr Vorwissen bezüglich Verbkonjugationen und Vokabular aktiviert werden. Mithilfe eines Actionbound-Quiz können auf spielerische Weise die formative Diagnose erstellt und die Schüler:innen daraufhin auf verschieden nivellierte Lernpfade geschickt werden, die ihnen bei der Übung der neuen Grammatik helfen sollen. Dank der digitalen Übungsphasen können sie in ihrer eigenen Geschwindigkeit lernen und erhalten adaptive Rückmeldungen. So werden die Schüler:innen regelmäßig auf Basis ihres Lernprozesses zu unterschiedlich schwierigen Übungsphasen zugeordnet. Abschließend wenden sie das Gelernte in einer Vertiefungsphase innerhalb einer kollaborativen Gruppenarbeit an, in der sie alle neu erlernten Verben nutzen, um in einem Video ein lateinamerikanisches Land ihrer Wahl vorzustellen.

Das Projekt DIA:GO

Wie eine Verwendung dieses Prinzips im konkreten Unterrichtsalltag aussehen kann und welche Grundsätze davon umsetzbar sind, wird aktuell im DiA:GO-Projekt begleitet und erforscht. DiA:GO (Digitale Medien im adaptiven Unterricht der gymnasialen Oberstufe der Gemeinschaftsschule) ist ein Kooperationsprojekt der Gemeinschaftsschule West in Tübingen und der Eberhard Karls Universität Tübingen, das von der Vector Stiftung und der Robert Bosch Stiftung gefördert wird. Innerhalb des Projekts werden adaptive Unterrichtseinheiten unter dem systematischen Einbezug digitaler Medien entwickelt, durchgeführt und wissenschaftlich begleitet. Ziel ist die Etablierung fachspezifischer und adaptiver mediendidaktischer Konzepte in der Oberstufe. Die Entwicklung von adaptiven Unterrichtsmaterialien mithilfe digitaler Medien und deren Veröffentlichung unter freien Lizenzen ist ein Teil des Projekts und wird bei den durchgeführten Unterrichtseinheiten stets mit bedacht. Die adaptiven Unterrichtseinheiten innerhalb des Projekts folgen dabei einem gemeinsamen Muster: ein Thema im Umfang von etwa drei Wochen, in denen vermehrt der Einsatz digitaler Medien zur Realisierung adaptiver Unterrichtsmethoden als durchgehendes Feature genutzt wird. Eine wissenschaftliche Begleitung untersucht den Leistungszuwachs und die Selbsteinschätzung des eigenen Wissens der Schüler:innen.

Beispiel: Adaptiver Spanischunterricht

1. kognitive Aktivierung
– Lied »Me gustas tú« von Manu Chao vorspielen
– Dinge aussprechen, die mir gefallen
2. formative Diagnose
– erfolgt über ein Actionbound-Quiz
– bringt qualitative und quantitative Ergebnisse
3. Lernpfade zur Differenzierung der Lernangebote
– verschiedene Schwierigkeiten
– Einteilung der Schüler:innen je nach Actionbound-Ergebnis
– individuelles Lernen mit Unterstützung und Feedback durch die Lehrperson
4. Sammelrunde
– Austausch über bisherigen Stand
– Gruppeneinteilung
5. Gruppenprojekt: Classroom-Management
– Projekt »Un país que me gusta« (»ein Land, das mir gefällt«)
– digitale Darstellung, etwa als Video

Wie geht es weiter ?

Ab dem Schuljahr 2022/23 ist eine Ausweitung auf alle Gemeinschaftsschulen mit gymnasialer Oberstufe in Baden-Württemberg vorgesehen. Als Hauptziel der zweiten Förderphase ist die systematische Ausweitung des Projekts in mehreren Netzwerken angestrebt, um Sichtbarkeit und Outcome des Projekts zu erhöhen und die Generalisierbarkeit der erhaltenen Forschungsbefunde zu gewährleisten. Kern der zweiten Förderphase ist die verbindliche Netzwerkbildung mit den Gemeinschaftsschulen mit eigener Oberstufe in Baden-Württemberg sowie die effektivitätsorientierte Begleitforschung zu den dabei realisierten Maßnahmen. Unterrichtseinheiten innerhalb des Projekts folgen dabei einem gemeinsamen Muster: ein Thema im Umfang von etwa drei Wochen, in denen vermehrt der Einsatz digitaler Medien zur Realisierung adaptiver Unterrichtsmethoden als durchgehendes Feature genutzt wird. Eine wissenschaftliche Begleitung untersucht den Leistungszuwachs und die Selbsteinschätzung des eigenen Wissens der Schüler:innen.

Bringt das was?

Bisher wurden insgesamt zehn adaptive Einheiten mithilfe digitaler Medien konzipiert und durchgeführt. Über alle bisher durchgeführten Einheiten zeigten sich große Leistungszuwächse der Schüler:innen. Ebenso konnten die Schüler*innen im Anschluss der Einheiten ihr eigenes Wissen besser einschätzen. Das ist wichtig, um geeignete Lernstrategien auszuwählen und nicht etwa das Lernen zu beenden, weil das eigene Wissen vermeintlich überschätzt wurde. Obwohl alle Schüler:innen von den Einheiten profitierten, zeigte sich interessanterweise, dass besonders Leistungsschwächere in dem Fach stärkere Leistungszuwächse aufwiesen. So könnte der adaptive Ansatz des Projektes zumindest ein wenig gegen den bekannten Matthäus-Effekt (»Wer hat, dem wird gegeben«) wirken.

Ein Beitrag von Dr. Leonie Jacob und Christian Wettke.

Dr. Leonie Jacob ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Christian Wettke ist Referent bei der Pacemaker Initiative und war viele Jahre Lehrer für die Fächer Spanisch und Sport.