Digitale Didaktik: Den Unterricht digital erweitern

Digitale Didaktik: Den Unterricht digital erweitern
25
Apr

Alltagsstress lässt vielen Lehrkräften oft keine Zeit, sich mit Didaktik zu beschäftigen. Für reflektiertes Lernen im digitalen Wandel ist das ein Problem, weil Digitalisierung so schnell als »einfache« Transformation des Materials verstanden – und im schlechtesten Fall abgelehnt wird.

Digitale Didaktik nimmt Medien und Technik als neue Bedingung des Lernens ernst. Man kann sie als Erweiterung der bestehenden Praxis begreifen – sowohl methodisch als auch den Gegenstand und die Sozialform betreffend.

Zunächst muss man zugeben: Was landläufig »digitale Didaktik« genannt wird, wird aus sehr unterschiedlichen Perspektiven gesehen. Während die einen sagen, dass eine solche Didaktik in jeder Form die Kultur der Digitalität einbezieht, sind andere der Meinung, dass man gar nicht von einer digitalen Didaktik sprechen könne. Hier wird ein Mittelweg gegangen. Die These ist: Das Digitale dient auf unterschiedliche Weise als eine Erweiterung – der Gegenstände, der Struktur oder der didaktischen Möglichkeiten. Und von allem zusammen. Digitale Didaktik bedeutet, die Struktur und Funktion (des Unterrichts und der medialen Formen) zu verstehen.

Meine Kritik an Workshops, in denen eine breite Palette an digitalen »Werkzeugen« gezeigt wird, ist immer dieselbe: Sie geben oftmals Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat. Denn egal, wie gut eine App ist – nach einem solchen Workshop geht man schnell wieder in den Alltag über. Und plötzlich sind die tollen Apps und Anwendungen vergessen. Warum? Weil der unterrichtliche Kontext fehlt, der ein Verständnis davon erlaubt, was das Digitale eigentlich leisten kann – auf unterschiedlichen Stufen.

Die unterschiedlichen Stufen der digitalen Didaktik zu (er)kennen, ermöglicht also einen zielgerichteten Einsatz und erlaubt so auch präzise Gespräche, welche Form des Digitalen überhaupt gefordert wird. Dies alles führt zu einem ersten Verständnis dessen, was digitale Didaktik nicht ist.

Was digitale Didaktik nicht ist

Zum einen suggeriert das Wording »digitale Didaktik«, dass es eine Didaktik ist, die nur digital funktioniert. Dem ist nicht so. Vielmehr geht es um eine Didaktik, die das Digitale in die Vorbereitung, die Durchführung und die Nachbereitung einbezieht, und zwar so, dass ihre Bedingungen ernst genommen werden. Zum anderen bedeutet das, zu wissen, dass es nicht darum geht, zu verstehen, was Technik, digitale Tools oder Anwendungen sind oder was sie tun. Denn dies führt zu der bereits erwähnten Erkenntnis, dass das, was sie sind und können, zwar nett ist, aber nicht gebraucht wird. Was aber ist digitale Didaktik dann?

Was digitale Didaktik ist

Um uns zu vergegenwärtigen, was digitale Didaktik ist, lohnt es sich, einen Blick auf den »normalen« Unterricht und dessen Vorbereitung zu werfen. Normalerweise wird der Unterricht geplant. Wenn eine Arbeit mit einem Arbeitsblatt geplant wird, wird dieses ausgedruckt. Man könnte sagen, die Planung wird ent-digitalisiert. Die Arbeitsblätter werden nun vervielfältigt und innerhalb des Unterrichts ausgeteilt. Dann werden sie bearbeitet, was bedeutet, dass die Schüler*innen mit dem Medium Papier dasselbe tun, was alle anderen tun. Wenn die Bearbeitung fertig ist, werden die Informationen gesammelt, überprüft und besprochen. Der Besprechung folgt dann vielleicht eine Hausaufgabe, die in einem anderen Medium vonstattengeht.

All das mag wenig überraschen. Schaut man aber auf Ort, Zeit und Raum, dann wird man feststellen, dass es sich um die verschiedensten Veränderungsprozesse handelt. Das Digitale hat das Potenzial, jede dieser Dimensionen in einen Punkt zu schmelzen. Zunächst also ist die Erkenntnis: Ort, Zeit und Raum haben im Digitalen einen anderen Status. Damit ergibt sich ein anderer Blick auf das Digitale und auf Technik. Die Frage kann nicht mehr sein, was etwas ist oder kann. Es geht vielmehr um das Verständnis der Anwendung und damit um Struktur und Form.

Drei beispielhafte Szenarien

Was banal klingt, hat Auswirkungen, die ein Buch füllen könnten. Belassen wir es in diesem Rahmen aber bei der Beschreibung dreier Szenarien, die die Veränderung des Unterrichts durch das Digitale nahebringen können.

1. Additives Setting

Den meisten wird das, was ich »additives Setting« nenne, bekannt vorkommen. In diesem Setting nimmt das digitale Medium eine Funktion innerhalb einer bestehenden Praxis ein. Ein Tool, mit dem anonym Assoziationen festgehalten und mit dem Handy oder einem anderen Endgerät verschickt werden können, nimmt dann die Funktion des Einstiegs ein. Am Unterricht verändert sich, außer bei der Vorbereitung, in der dann der Schritt der Ent-Digitalisierung weggelassen werden kann, zunächst einmal nichts.

2. Integratives Design

Innerhalb eines integrativen Settings wird ein Schritt weiter gegangen. Kurz gesagt ist hier das Digitale nicht ein Element innerhalb einer bereits bestehenden Struktur, sondern Teil der Struktur selbst. Wenn über Endgeräte gemeinsam an einem Text gearbeitet wird, der während des Entstehens an die Wand projiziert wird, dann ist der Unterricht selbst verändert. Die Erarbeitung, die Überprüfung und die sogenannte Sicherung sind nicht mehr voneinander unabhängige Strukturen, sondern fallen in einen Prozess, dem dann mehr Raum gegeben werden muss. Hier wirkt sich also das Digitale auf die gesamte Struktur des Unterrichts aus.

3. Disruptives Setting

Innerhalb eines disruptiven Settings wird dies noch einmal weitergedacht. Disruptiv ist ein Setting dann, wenn es Struktur und Form des gesamten Unterrichts aufzuheben und neu zu gestalten vermag. Das Digitale kann dabei sowohl als Arbeitsmittel, aber eben auch als Gegenstand der Analyse gelten. Innerhalb einer Erarbeitung kann das Ganze dann über schülerzentrierte Prozesse wie agile Arbeitsformen gesteuert werden. Das Digitale ist nicht mehr nur funktionales Bindeglied oder schafft eine Erweiterung der Lernpraxis, sondern sorgt für eine komplette Veränderung des Lernens selbst.

Zukunftsvisionen

Das alles führt dazu, dass die Frage danach, wie gutes Lernen, wie guter Unterricht funktionieren kann, völlig neu gestellt werden muss. Denn die Orts- und Zeitunabhängigkeit bietet plötzlich Möglichkeiten, Lernprozesse gänzlich anders zu strukturieren, beispielsweise in hybriden Szenarien. Wer dabei an die Coronazeit denkt, missversteht das Potenzial digitaler Didaktik in einem hoffentlich bald wieder bestehenden Setting, das nicht von der Krise bestimmt wird. Um aber dort hinzugelangen, ist es zunächst wichtig, ein basales Verständnis davon zu entwickeln, wie sich das Digitale auf den Unterricht auswirkt. Meine Hoffnung ist, dass dieser Impuls für eine digitale Didaktik einen Baustein dafür liefert.

Bob Blume ist Lehrer, Autor, Blogger und Bildungsinfluencer. Sein Fachbuch »Deutschunterricht digital« ist im Beltz Verlag erschienen.